BGH: Räumungstitel auch gegen nichteheliche Lebensgefährten des Mieters erforderlich
In seinem Beschluss vom 19.03.2008 (I ZB 56/07) hat der BGH zu der umstrittenen Frage Stellung genommen, ob gegen den nichtehelichen Lebensgefährten und gegen (mittlerweile) volljährige Kinder eines Mieters (die selbst nicht Vertragspartei sind) ein separater Vollstreckungstitel (hier: Räumungsurteil) erforderlich ist.
Aus der Entscheidung resultieren folgende Leitsätze:
- Hat der Mieter in die Mietwohnung einen nichtehelichen Lebensgefährten aufgenommen, ist für die Räumungsvollstreckung ein Vollstreckungstitel auch gegen den nichtehelichen Lebensgefährten erforderlich, wenn dieser Mitbesitz an der Wohnung begründet hat. Ein Mitbesitz an der Wohnung muss sich aus den Umständen klar und eindeutig ergeben.
- Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern zusammenleben, haben grundsätzlich keinen Mitbesitz an der gemeinsam genutzten Wohnung. Die Besitzverhältnisse an der Wohnung ändern sich im Regelfall nicht, wenn die Kinder nach Erreichen der Volljährigkeit mit ihren Eltern weiter zusammenleben. Haben Kinder keinen Mitbesitz an der Wohnung erlangt, reicht für eine Räumungsvollstreckung ein Vollstreckungstitel gegen die Eltern aus
Der BGH knüpft in seinem Urteil an seine Rechtsprechung zur Räumungsvollstreckung gegen Ehepartner an:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Gläubiger aus einem Räumungsurteil gegen den Mieter nicht gegen den im Titel nicht aufgeführten Ehepartner vollstrecken, weil regelmäßig selbst dann beide Ehegatten Mitbesitzer der ehelichen Wohnung sind, wenn nur einer von ihnen Partei des Mietvertrages ist. Ob der Ehepartner nach materiellem Recht zur Herausgabe der Mietsache an den Gläubiger verpflichtet ist, ist nicht im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren zu prüfen, sondern einer Beurteilung im Erkenntnisverfahren vorbehalten. Der Gerichtsvollzieher hat im Räumungsverfahren nur die tatsächlichen Besitzverhältnisse zu beurteilen (BGHZ 159, 383, 384 ff.).“
Diese Grundsätze erklärt der BGH für sinngemäß anwendbar:
„Ist der nichteheliche Lebensgefährte Mitbesitzer der Wohnung, ist grundsätzlich auch gegen ihn ein Räumungstitel notwendig (KG NJW-RR 1994, 713; OLG Köln DGVZ 1997, 119, 120; OLG Düsseldorf DGVZ 1998, 140; Bunn, NJW 1988, 1362, 1364; Artzt/Schmidt, ZMR 1994, 90, 92; Becker-Eberhard, FamRZ 1994, 1296, 1303; Stickelbrock, ZZP 118, 106, 108; Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 885 Rdn. 10; MünchKomm.ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 885 Rdn. 19). Den Mitbesitz an der Wohnung braucht der nichteheliche Lebensgefährte nicht vom Vermieter abzuleiten. Auch die Anzeige des Mieters an den Vermieter von der Aufnahme des nichtehelichen Lebensgefährten in die Wohnung ist nicht unabdingbare Voraussetzung für die Begründung von Mitbesitz.“
Maßgeblich kommt es nach Ansicht des BGH darauf an, ob der nichteheliche Lebensgefährten des (Räumungs-) Schuldners Besitz an den Räumlichkeiten begründet hat; die blosse „Aufnahme“ in die Wohnung reicht nicht aus; die tatsächlichen Feststellungen hierzu hat der Gerichtsvollzieher zu treffen:
„Anders als bei einem Ehepaar, das gemeinsam aufgrund der auf Lebenszeit angelegten Ehe in der ehelichen Wohnung lebt, kann bei einem nichtehelichen Lebensgefährten allein aus der Aufnahme in die Wohnung nicht auf einen Mitbesitz geschlossen werden (Zöller/Stöber aaO § 885 Rdn. 10; MünchKomm.ZPO/Gruber aaO § 885 Rdn. 19; Musielak/Lackmann, ZPO, 5. Aufl., § 885 Rdn. 10; Staudinger/Bund, BGB (Bearbeitung 2007), § 866 Rdn. 12; Becker-Eberhard, FamRZ 1994, 1296, 1303; Schuschke, NZM 2005, 10, 11; a.A. MünchKomm.BGB/Joost, 4. Aufl., § 866 Rdn. 5). Vielmehr muss anhand der tatsächlichen Umstände des jeweiligen Falles beurteilt werden, ob der nichteheliche Lebensgefährte Mitbesitzer oder nicht nur Besitzdiener ist. Die tatsächlichen Besitzverhältnisse hat der Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan zu prüfen. Die Einräumung des Mitbesitzes an den nichtehelichen Lebensgefährten muss durch eine von einem entsprechenden Willen getragene Handlung des zuvor alleinbesitzenden Mieters nach außen erkennbar sein (vgl. zur Übertragung des Alleinbesitzes: BGH, Urt. v. 10.1.1979 – VIII ZR 302/77, NJW 1979, 714, 715). Aus den Gesamtumständen muss sich klar und eindeutig ergeben, dass der Dritte Mitbesitzer ist, weil das Zwangsvollstreckungsverfahren formalisiert ist und der Gläubiger vor einer Verschleierung der Besitzverhältnisse durch den Schuldner zur Vereitelung der Zwangsvollstreckung geschützt werden muss. Anhaltspunkte, durch die sich nach außen die Einräumung des Mitbesitzes dokumentiert, sind die Anzeige des Mieters an den Vermieter von der beabsichtigten oder erfolgten Aufnahme des nichtehelichen Lebensgefährten oder seine Anmeldung in der Wohnung nach den jeweiligen landesrechtlichen Meldegesetzen.
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Die danach notwendigen Feststellungen sind allerdings auch nicht in einem Fall entbehrlich, in dem der Schuldner die Aufnahme des nichtehelichen Lebensgefährten in die Wohnung dem Gläubiger nicht angezeigt hat, weil es grundsätzlich nur auf die vom Vollstreckungsorgan zu beurteilenden tatsächlichen Besitzverhältnisse ankommt (vgl. BGHZ 159, 383, 386). Ob sich aufgrund des auch im Zwangsvollstreckungsrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB (hierzu BGHZ 57, 108, 111) etwas anderes ergibt, wenn der Vermieter vor Einleitung des Räumungsprozesses bei dem Mieter nach weiteren in der Wohnung lebenden Personen fragt, um diese in die Klage einbeziehen zu können, und der Mieter keine, eine falsche oder eine unvollständige Auskunft erteilt, kann im vorliegenden Verfahren offenbleiben. Die Gläubigerin hat zu einer entsprechenden Anfrage an die Schuldnerin vor Einleitung des Räumungsprozesses nichts vorgetragen.“
Ein gesonderter Räumungstitel gegen mittlerweile volljährig gewordene Kinder ist nach Ansicht des BGH in der Regel nicht erforderlich:
„Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Gläubigerin benötige zur Räumung der Wohnung auch einen Vollstreckungstitel gegen die Tochter der Schuldnerin und ihren Ehemann. Dem kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht zugestimmt werden.
aa) Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern zusammenleben, haben grundsätzlich keinen Mitbesitz an der gemeinsam benutzten Wohnung. Für eine Räumungsvollstreckung reicht deshalb ein Vollstreckungstitel gegen die Eltern aus (KG NJW-RR 1994, 713, 714; Wieczorek/Schütze/Storz aaO § 885 Rdn. 21). Die gegenteilige Ansicht, die bei Kindern ab dem 14. Lebensjahr von einem Mitbesitz an den ihnen zugewiesenen Räumen ausgeht (Schuschke, NZM 2005, 10, 11), steht nicht nur mit den tatsächlichen Besitzverhältnissen nicht in Einklang. Sie lässt auch die schützenswerten Belange minderjähriger Kinder unberücksichtigt. Die Nachteile, die sich aus einer Mithaftung für die Kosten des Räumungsprozesses und der Zwangsräumung ergeben, überwie-gen deutlich den Vorteil, als mitverklagte Partei im Prozess seine Rechte wahr-nehmen zu können, weil den minderjährigen Kindern im Räumungsprozess im Verhältnis zum Vermieter grundsätzlich keine weitergehenden Rechte zustehen als ihren Eltern, die Mietvertragspartei sind.
Die Besitzverhältnisse an der Wohnung, in der die Familie lebt, ändern sich im Regelfall nicht, wenn das Kind volljährig wird und mit seinen Eltern weiter zusammenwohnt (OLG Hamburg NJW-RR 1991, 909; KG NJW-RR 1994, 713, 714; Zöller/Stöber aaO § 885 Rdn. 7; MünchKomm.ZPO/Gruber aaO § 885 Rdn. 20; Musielak/Lackmann aaO § 885 Rdn. 9; a.A. LG Heilbronn DGVZ 2005, 167; Bunn, NJW 1988, 1362, 1364; Riecke, DGVZ 2006, 81, 83). In diesem Fall bleiben die nach Erreichen der Volljährigkeit weiter in der elterlichen Wohnung lebenden Kinder im Regelfall Besitzdiener, ohne dass es darauf ankommt, ob die Kinder unter der Adresse gemeldet sind und der Vermieter die tatsächlichen Verhältnisse kennt. Etwas anderes kann nur gelten, wenn eine Änderung der Besitzverhältnisse volljähriger Kinder an der elterlichen Wohnung nach außen eindeutig erkennbar geworden ist.
bb) Zu Recht macht die Rechtsbeschwerde geltend, dass das Beschwerdegericht zu den Besitzverhältnissen der volljährigen Tochter keine Feststellun-gen getroffen hat. Dass die volljährige Tochter der Schuldnerin verheiratet ist und mit ihrem Ehepartner in der Wohnung der Schuldnerin lebt, besagt nichts über die tatsächlichen Besitzverhältnisse. Der Umstand, dass die Tochter mit ihrem Ehemann keine eigene Wohnung bezogen hat, sondern in der Wohnung der Schuldnerin weiterlebt, kann umgekehrt auch für den Fortbestand eines Besitzverhältnisses zwischen der Schuldnerin und ihrer Tochter sprechen, wie es bei minderjährigen Kindern angenommen wird. In diesem Fall hat die Tochter keinen eigenen Mitbesitz neben der Schuldnerin begründet und ist Besitzdienerin geblieben (§ 855 BGB).“
Linkhinweis:
Das Urteil kann im Volltext über die Homepage des Bundesgerichtshofs (www.bundesgerichtshof.de) abgerufen werden.
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