BGH: Urteil im „Zitronensaftfall“ aufgehoben
Auf die Revision des Angeklagten hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach gegen den früheren Chefarzt einer Klinik in Wegberg aufgehoben, mit dem dieser wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten mit Bewährung verurteilt worden war.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte eine Patientin, bei der er eine Darmoperation kunstgerecht durchführte, vor diesem Eingriff nicht darüber aufgeklärt, dass er zur Behandlung einer nach dieser Operation eventuell auftretenden Wundinfektion auch Zitronensaft verwenden würde. Er war von dessen desinfizierenden Wirkung überzeugt und ließ ihn daher unter nicht sterilen Bedingungen mit üblichen Haushaltsgeräten in der Stationsküche gewinnen. Jedoch konnte es durch den unsterilen Zitronensaft zu einer weiteren bakteriellen Belastung damit behandelter Wunden kommen. Nachdem bei der Patientin tatsächlich eine massive Wundheilungsstörung aufgetreten war, nahm der Angeklagte eine zweite Operation (sog. Reoperation) vor und brachte hierbei sowie in der Folgezeit – neben dem Einsatz herkömmlicher Medikamente – mehrfach Zitronensaft in die Wunde ein. Auch jetzt informierte er die Patientin hierüber nicht. Diese verstarb rund zwei Wochen nach dem ersten Eingriff an den Folgen der Wundinfektion. Dass die Verwendung des Zitronensaftes hierfür mitursächlich geworden wäre, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Nach dessen Ansicht hätte der Angeklagte die Patientin aber über den möglichen späteren Einsatz von Zitronensaft schon vor der ersten Operation aufklären müssen. Daher hat es bereits die Einwilligung der Patientin in die Vornahme dieses Eingriffes als unwirksam angesehen und diesen daher als rechtswidrige Körperverletzung gewertet. Weil die durch die Erstoperation bedingte Wundinfektion zum Tode der Patientin geführt hat, hat es den Angeklagten der Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig erachtet.
Diese Rechtsauffassung des Landgerichts hielt revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach dem Urteil des 3. Strafsenats war der Angeklagte nicht verpflichtet, die Patientin bereits vor dem ersten Eingriff darüber aufzuklären, dass er im Falle des Eintritts einer Wundheilungsstörung zu deren Behandlung gegebenenfalls auch Zitronensaft einsetzen werde. Birgt ein ärztlicher Heileingriff das Risiko, dass sich in seiner Folge eine weitere behandlungsbedürftige Erkrankung oder körperliche Schädigung einstellt, so muss der Arzt den Patienten vor dem ersten Eingriff nur dann über die Art und die Gefahren einer bei Verwirklichung des Risikos notwendigen Nachbehandlung aufklären, wenn dieser ein schwerwiegendes, die Lebensführung eines Patienten besonders belastendes Risiko anhaftet, etwa der Verlust eines Organs.
Eine derartige Konstellation lag hier nicht vor. So war im Falle des Eintritts einer Wundheilungsstörung das Einbringen von Zitronensaft schon nicht die einzig mögliche Art der Behandlung. Vielmehr stand in Form der Verabreichung von Antibiotika eine Alternative zur Verfügung, auf die hier zunächst auch allein und später neben der Verwendung des Zitronensaftes zurückgegriffen worden war. Außerdem war nach Ausbruch der Wundinfektion grundsätzlich noch genügend Zeit vorhanden, um die Patientin auf den beabsichtigten Einsatz von Zitronensaft hinzuweisen und sie die Wahl zwischen der alleinigen – weiteren – Gabe von Antibiotika oder dem zusätzlichen Einsatz von Zitronensaft treffen zu lassen. Demgemäß war sie trotz ihrer erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen sogar noch in der Lage, eigenverantwortlich ihre Einwilligung in die Reoperation zu erteilen. Hinzu kommt, dass mit dem Einbringen des unsterilen Zitronensaftes in die Wunde als maßgebliches Risiko ausschließlich eine gewisse zusätzliche bakterielle Belastung verbunden war, was nicht mit der Gefahr für die künftige Lebensführung eines Patienten vergleichbar ist, dem durch die Nachbehandlung etwa ein Organverlust droht. Entsprechend hat das Landgericht auch keinen hinreichenden Anhalt dafür gefunden, dass der Einsatz des Zitronensaftes in irgendeiner Form mitursächlich für den Tod der Patientin geworden wäre. Bei dieser Sachlage war der Angeklagte entgegen der Ansicht des Landgerichts auch nicht allein deshalb verpflichtet, schon vor der ersten Operation auf die eventuelle spätere Verwendung von Zitronensaft zur Behandlung einer möglichen Wundinfektion hinzuweisen, weil der von ihm erwogene Einsatz dieser unerprobten Außenseitermethode bei der Patientin Zweifel an seiner Fachkompetenz hätten wecken können mit der Folge, dass sie den Eingriff nicht vom Angeklagten hätte vornehmen lassen.
Damit hat sich der Angeklagte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen lediglich durch die Zweitoperation der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht; denn vor diesem Eingriff hätte er die Patientin über das von ihm hierbei beabsichtigte Einbringen von Zitronensaft in die Wunde aufklären müssen. Da er dies unterlassen hat, war die insoweit erteilte Einwilligung der Patientin unwirksam. Dagegen kann dem Angeklagten danach keine Körperverletzung mit Todesfolge angelastet werden, da weder die Zweitoperation noch der Einsatz des Zitronensaftes zum Eintritt des Todes beigetragen haben. Eine entsprechende Umstellung des Schuldspruchs war dem 3. Strafsenat indes nicht möglich, da in Betracht kommt, dass dem Angeklagten in Verbindung mit der Erstoperation ein Behandlungsfehler unterlief oder er die Patientin vor dieser in anderer Hinsicht nicht ausreichend aufklärte. Da somit eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge auf anderer Tatsachengrundlage noch möglich erscheint, muss die Sache vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach erneut verhandelt werden.
Urteil vom 22. Dezember 2010 – 3 StR 239/10
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofes
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