MICHAEL Rechtsanwaelte

LG Frankenthal: filesharing – Keine Verwertbarkeit von Providerauskünften im Urheberrechtsverfahren

Mit Beschluss vom 21.05.2008 (6 O 156/08) hat das LG Frankenthal (Pfalz) der gängigen Praxis der Abmahnkanzleien bei vermeintlichen Urheberrechtsverletzungen einen Riegel vorgeschoben. Hiernach stellt die Weitergabe von Daten (hier: Information über den Anschlussinhaber bei einer dynamischen ip-Adresse) durch einen Provider an Behörden (so auch an die Staatsanwaltschaft) in der Regel einen nicht gerechtfertigten Grundrechtseingriff dar – die Verwendung der hierdurch erzielten Informationen im Zivilverfahren (insbesondere im Urheberrechtsprozess) sei damit nicht zulässig.

Mit dieser Begründung wiesen die Richter den Antrag der Inhaber der Rechte an dem PC-Spiel „The Witcher“ auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen einen Anschlussinhaber, der an der Internettauschbörse bittorrent bzw eMule (hier war wohl der Vortrag der Antragstellerin widersprüchlich) teilgenommen haben und den Upload dieses Spiels ermöglicht haben soll, zurück.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die Antragstellerin eine „Antipiracy“-Firma mit der Ermittlung von Nutzern beauftragt, welche das Spiel über Tauschbörsen im Internet anboten. Dieses Unternehmen nutzt zur Feststellung und Protokollierung das Programm „File-Sharing-Monitor“. Auf dieser Basis wurde zu einem konkreten Zeitpunkt ein Nutzer mit der dynamischen IP-Adresse 87.182.110.227 erfasst.

Es folgte das übliche „Spiel“: Der Rechteinhaber erstattete Strafanzeige gegen unbekannt, die StA holte bei dem zuständigen Provider (hier: Deutsche Telekom AG) Auskünfte ein, welche ergaben, dass die ermittelte IP-Adresse im fraglichen Zeitraum dem Antragsgegner zugeordnet war. Es folgte eine Abmahnung nebst Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Da diese nicht erklärt wurde, folgte der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Das Urteil wurde sehr umfangreich begründet; einen Link zum dem Volltext der Entscheidung finden Sie am Ende dieses Beitrages. Die maßgeblichen Urteilsgründe fassen wir auszugsweise wie folgt zusammen (Anmerkung: Hervorhebungen erfolgten durch den Verfasser):

  1. „Eine … solche Grundrechtsverletzung ist hier in der Übermittlung der gespeicherten Telekommunikationsdaten
    zu sehen. Nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 kommt
    eine Übermittlung von erhobenen Telekommunikationsdaten vom Anbieter der Telekommunikationsdienstleistung
    an staatliche Behörden u.a. nur dann in Betracht, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat i.S.d. § 100 a Abs. 2 StPO ist (MMR 2008, 303, 305). Eine solche Straftat liegt dem vorliegenden Verfahren jedoch unstreitig nicht zugrunde.“
      
  2. „Im Telekommunikationsbereich wird unterschieden zwischen Bestandsdaten und Verkehrsdaten. § 3 Nr. 3 TKG definiert Bestandsdaten als Daten eines Teilnehmers, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung,
    Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden. Umgangssprachlich kann man daher die Bestandsdaten als Kundendaten bezeichnen. Abzugrenzen davon sind die personenbezogenen Daten der Nutzer von Telekommunikationsdiensten. Deren personenbezogenen Daten werden nicht von § 3 Nr. 3 TKG erfasst und stellen keine Bestandsdaten dar. … Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sämtliche personenbezogenen Daten, die der reibungslosen und vertragsgemäßen Abwicklung eines Vertrages über Telekommunikationsdienste zumindest dienen, zu den Bestandsdaten gezählt werden können. … Bestandsdaten finden sich in allen Phasen eines Vertragsverhältnisses. Betroffen sind daher sowohl die Vertragsanbahnung als auch die Leistungserbringung, die Bezahlung der erbrachten Telekommunikationsdienste sowie die Beendigung des Vertrages. So gelten etwa der Name, der Vorname und die Anschrift des Teilnehmers als Bestandsdaten. Aber auch die technischen Merkmale des Telekommunikationsanschlusses (z.B. ISDN-Anschluss) bzw. die Art der Endeinrichtung wie beispielsweise die Tatsache, dass es sich um ein Fax-Gerät handelt, zählen dazu. Schließlich müssen auch die rechnungsrelevanten Daten, wie Rechnungsanschrift und Bankverbindung zu den Bestandsdaten gerechnet werden. … 
      
    Des Weiteren definiert das Gesetz in § 3 Nr. 30 TKG Verkehrsdaten als Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. … Verkehrsdaten stehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten und lassen so erkennen, von welchem Anschluss wann mit wem wie lange kommuniziert wurde. Aus diesem Grunde unterfallen diese sehr sensiblen Daten dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG. Welche Daten dabei im Einzelnen Verkehrsdaten sind, regelt § 96 TKG. Zu den Verkehrsdaten zählen danach die Rufnummer des Anrufers, die Rufnummer des angerufenen Anschlusses, Datum, Uhrzeit und Dauer der Verbindung sowie die Art der vom Teilnehmer in Anspruch genommenen TKDienste; weitere Verkehrsdaten sind personenbezogene Berechtigungskennungen wie z.B. Pins (Beckscher TKG-Komm/Robert, aaO § 96 Rn. 3).
      
    Vor diesem Hintergrund schließt sich die Kammer der Auffassung an, dass es sich bei dynamischen IP-Adressen, welche nach dem Verbindungsende erneut an einen anderen Nutzer vergeben werden, so dass viele Nutzer – häufig sogar im Verlauf eines Tages – die gleiche IP-Adresse nacheinander nutzen, nicht um Bestandsdaten, sondern um Verkehrsdaten handelt. Dies steht im Einklang mit der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. nur Bär MMR 2008, 215, 219; Berger, jurisPR-ITR 7/2008 Anm. 5 unter C.; Bär, MMR 2002, 358, 360; Landgericht Darmstadt, Urt. v. 6.6.2007 – Rn. 63 [zit. nach juris] = CR 2007, 574; LG Darmstadt, GRUR-RR 2006, 173; LG Ulm, MMR 2004, 187 f.; LG Bonn, DuD 2004, 628 f.; AG Offenburg, Beschluss vom 27.07.2007, Az.: 4 Gs 442/07; a.A. soweit ersichtlich nur Landgericht Offenburg, Beschluss vom 17.04.2008, Az.: 3 Qs 83/07). Infolgedessen dürfen diese Daten nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich nicht abgerufen und übermittelt werden, weil bereits in dem Abruf ein schwerwiegender und irreparabler Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG liegt (BVerfG MMR 2008, 303, 304).“
     
  3. „Im Übrigen sind nach Ansicht der Kammer dynamische IP-Adressen auch personenbezogen i.S.d. personenbezogenen Berechtigungskennung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 TKG. Unter personenbezogenen Daten versteht man Einzelangaben über bestimmte natürliche Personen (siehe § 3 Abs. 1 BDSG). … Viele Datenschutzbeauftragte (z.B. Art-29- Datenschutzgruppe (4/2007), Landesschutzbeauftragte Niedersachen und Hessen) halten dynamische IPAdressen für personenbezogen. Für den Access-Provider, das heißt denjenigen, der sie im Rahmen des Nutzungsvorgangs vergibt, erscheint dies geradezu offensichtlich. Alle anderen Dienstanbieter können den Personenbezug nur in Zusammenarbeit mit dem Access-Provider herstellen. Somit haben dynamische IPAdressen relativen Personenbezug (ähnlich Simitis, BDSG, 6. Aufl. § 3, Rn. 63).“
      
  4. „Die Kammer sieht danach unter Berücksichtigung aller Umstände die dynamischen IP-Adressen als Verkehrsdaten i.S.d. § 3 Ziff. 30 TKG an, da diese Daten im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten stehen und sich so erkennen lassen. Für diese Verkehrsdaten besteht ein strenger Schutz, insbesondere unterliegen sie dem Fernmeldegeheimnis. Wie bereits ausgeführt, dürfen diese Daten nur dann herausgegeben werden, wenn der Verdacht auf Verübung einer schweren Straftat i.S.d. § 100 a Abs. 2 StPO besteht, was hier auf Grund der geltend gemachten Urheberrechtsverletzung nicht gegeben ist.“
      
  5. Würde man entgegen den obigen Darlegungen dynamische IP-Adressen als Bestanddaten ansehen und diese als ohne weiteres speicher- und abrufbar ansehen, so könnte somit der eigentlich gewollte Schutz umgangen werden (vgl. dazu auch die Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz Schaar vom 19. März 2008 zur Entscheidung des BVerfG, aaO, wonach „die bisherige Praxis, Tauschbörsenteilnehmer über deren IP-Adressen ermitteln zu lassen, nach den Karlsruher Vorgaben nicht mehr zulässig“ ist; Quelle: http://www.sueddeutsche.de/computer/artikel/802/164339/).“
      
  6. „Bedenken an der Verwertbarkeit der übermittelten Daten bestünden im Übrigen selbst bei einer Qualifizierung
    der dynamischen IP-Adresse als Bestandsdatum. Zwar bezieht sich die bereits mehrfach zitierte Entscheidung
    des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich nur auf Verkehrsdaten, während sie sich zum Abruf und der Übermittlung von Bestandsdaten nicht verhält. Es ist jedoch nach Auffassung der Kammer weder interessen- noch sachgerecht und letztlich nicht nachvollziehbar, weshalb sich der Grundrechtsschutz des betroffenen Telekommunikationsteilnehmers an einer rechtlich umstrittenen Einstufung bestimmter Daten als Verkehrs- oder Bestandsdaten orientieren soll. Maßgeblich erscheint vielmehr, dass es in Fällen wie dem vorliegenden durch die Offenlegung privater Telekommunikationsdaten zu einer Deanonymisierung kommt, die es ermöglicht, nicht für Dritte bestimmte, dem Fernmeldegeheimnis unterliegende Daten bestimmten Personen zuzuordnen.“
      
  7. „Eine Rechtfertigung für den festgestellten Eingriff in das Grundrecht des Antragsgegners ist nicht erkennbar.
    Insbesondere reicht dazu allein das Interesse der Antragstellerin, sich ein Beweismittel zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche zu sichern nicht aus (BVerfG NJW 2002, 3619, 3624), so dass die von der Deutschen Telekom am 18. Januar 2008 an die Staatsanwaltschaft R. übermittelten Daten, welche an die
    Antragstellerin weitergegeben wurden, im vorliegenden Verfahren nicht verwertet und berücksichtigt werden können.“

  

    

Linkhinweis:

Der Volltext der Entscheidung kann hier über die Homepage von MIR (Medien Internet und Recht) abgerufen werden.

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