OLG Köln: Fehlende Kontrolle abgefahrener Reifen rechtfertigt nicht zwingend den Vorwurf groben Verschuldens
Auch wenn ein Autofahrer eine regelmäßige Überprüfung der Profiltiefe seiner Reifen nicht vorgenommen hat, rechtfertigt dies noch nicht zwingend den Vorwurf groben Verschuldens, wenn es später zu einem Verkehrsunfall kommt. Dies hat das Oberlandesgericht Köln durch Urteil vom 25.04.2006 (Az.: 9 U 175/05) entschieden und damit der Klage eines Versicherungsnehmers gegen seine KFZ-Versicherung zum Erfolg verholfen.
Im Streitfall war das Fahrzeug des Klägers bei der Beklagten kasko- und haftpflichtversichert. Als der Kläger auf der Autobahn bei winterglatter Fahrbahn ins Schleudern geriet, prallte er gegen einen Erdwall. Hierdurch wurde das Fahrzeug völlig beschädigt. Die Polizei stellte am Fahrzeug des Klägers am linken hinteren Reifen eine Profiltiefe von 0,7 bis 1,1 mm und am rechten hinteren Reifen eine Profiltiefe von 0, 5 bis 0,9 mm fest. In einem später eingeholten Gutachten wird die Profiltiefe der Reifen dagegen vorne mit jeweils 5,0 mm, hinten links mit 1,5 mm und hinten rechts mit 1,0 mm angegeben. Die Parteien stritten darüber, ob der Kläger zur Geltendmachung von Leistungsansprüchen gegen die Versicherung berechtigt ist. Die Beklagte berief sich auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Unfalls und Gefahrerhöhung durch nicht verkehrssichere Reifen. Sie machte geltend, die Polizei habe vor Ort festgestellt, dass das Fahrzeug wegen unzureichender Profiltiefe der Reifen technische Mängel aufgewiesen habe. Diese mangelnde Profiltiefe sei für den Kläger erkennbar gewesen. Dem hat das OLG Köln nun eine Absage erteilt.
Das OLG Köln vertrat die Auffassung, dem Kläger stehe wegen des Schadensereignisses gegen die beklagte Versicherung ein Entschädigungsanspruch zu. Diese sei nicht nach § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls von ihrer Leistungspflicht befreit. Die Annahme grober Fahrlässigkeit verlange objektiv ein grob verkehrswidriges Verhalten und subjektiv ein erheblich gesteigertes Verschulden. Der Versicherungsnehmer müsse die im Verkehr erforderliche Sorgfalt daher durch ein subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten in hohem Maße außer Acht gelassen haben. Es müsse auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden gegeben sein. Ein solches erhebliches Verschulden des Klägers könne hier indes nicht angenommen werden.
Das OLG war der Ansicht, hinsichtlich der Profiltiefe der Reifen sei von den Messwerten in dem eingeholten Gutachten auszugehen. Dass die abweichenden Feststellungen der Polizei zutreffend seien, habe die beklagte Versicherung nicht bewiesen. Das polizeiliche Unfallaufnahmeprotokoll erbringe lediglich Beweis dafür, dass die Polizei die Messung der Profiltiefe mit dem angegebenen Ergebnis vorgenommen habe. Der Beweis erstrecke sich dagegen nicht auf die Richtigkeit des Messergebnisses. Die Umstände sprächen eher dafür, dass die Angaben der Polizei ungenau gewesen seien. Wie die Farbfotos der Fotoanlage zum Gutachten zeigen würden, seien die Reifen nahezu vollständig von Erde bedeckt gewesen, so dass eine Messung der Profilrillen an der Unfallstelle erschwert gewesen sei.
Die gesetzliche Mindestprofiltiefe gemäß § 36 II 4 StVZO von 1,6 mm sei demnach lediglich bei den Hinterreifen nicht eingehalten worden. Der Wert sei nur bei dem Reifen hinten rechts deutlich unterschritten, bei dem Reifen hinten links liege hingegen nur eine geringe Abweichung vor. Dass die zu geringe Profiltiefe der Hinterreifen, insbesondere des Reifens hinten rechts, besonders auffällig gewesen wäre, sei nicht erkennbar. Auch wenn man annehme, dass der Kläger eine sorgfältige, regelmäßige Überprüfung der Reifen unterlassen habe, rechtfertige dies noch nicht den Vorwurf groben Verschuldens. Ein derartiges genaues Hinschauen und Nachmessen sei ohne besondere Umstände nur zur Vermeidung jeglicher Fahrlässigkeit geboten. Ein Unterlassen der Prüfung ohne solche Umstände – für die hier nichts ersichtlich sei – erscheine indes nicht als grob fahrlässig. Gegen die Annahme grober Fahrlässigkeit spreche auch, dass der Kläger zwei Monate vor dem Unfall die Reifen von einer Werkstatt habe montieren lassen. Er habe daher davon ausgehen dürfen, dass diese ihn auf eine zu geringe Profiltiefe hingewiesen hätte und die Reifen jedenfalls für die Fahrten im Winterhalbjahr ausreichendes Profil aufweisen würden.
Das OLG lehnte außerdem eine Leistungsfreiheit der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Gefahrerhöhung nach § 23 VVG ab. Zwar könne die Benutzung eines infolge abgefahrener Reifen verkehrsunsicheren Fahrzeuges eine Gefahrerhöhung darstellen. Im Rahmen des § 23 Abs. 1 VVG müsse aber eine positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von dem gefahrerhöhenden Umstand vorliegen oder der Versicherungsnehmer müsse bewusst von einer Überprüfung der Reifen Abstand genommen haben . Diese Voraussetzungen seien nach den vorliegenden Umständen aber nicht nachgewiesen.
« BVerfG: Ermittlung von Mobilfunkdaten durch IMSI-Catcher verstö LSG Darmstadt: Land Hessen muss Asthmabehandlung am Toten Meer bezahlen »