MICHAEL Rechtsanwaelte

BVerfG: Sportwettenmonopol verstö

Urteil vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01

Staatliches Sportwettenmonopol in seiner derzeitigen Ausgestaltung
nicht mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit vereinbar

Das in Bayern bestehende staatliche Wettmonopol für Sportwetten ist mit
dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar, weil es in einer Art und
Weise ausgestaltet ist, die eine effektive Suchtbekämpfung, die den
Ausschluss privater Veranstalter rechtfertigen könnte, nicht
sicherstellt.

Allerdings führt dies nicht zur Nichtigkeit der
angegriffenen Rechtslage. Vielmehr ist der Gesetzgeber
verfassungsrechtlich gehalten, den Bereich der Sportwetten bis zum 31.
Dezember 2007 neu zu regeln. Ein verfassungsmäßiger Zustand kann sowohl
durch eine konsequente Ausgestaltung des Wettmonopols erreicht werden,
die sicherstellt, dass es wirklich der Suchtbekämpfung dient, als auch
durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher
Veranstaltung durch private Wettunternehmen. Will er an einem
staatlichen Wettmonopol festhalten, muss er dieses konsequent am Ziel
der Bekämpfung von Wettsucht und der Begrenzung der Wettleidenschaft
ausrichten. Eine Neuregelung kommt dabei grundsätzlich sowohl durch den
Bundes- wie den Landesgesetzgeber in Betracht. Während der Übergangszeit
bis zu einer gesetzlichen Neuregelung darf das Staatslotteriegesetz
weiter angewandt werden. Das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch
private Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom
Freistaat Bayern veranstaltet werden, dürfen weiterhin als verboten
angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden. Dies entschied der
Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 28. März 2006
auf die Verfassungsbeschwerde einer Buchmacherin aus München hin (zum
Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 96/2005 vom 10. Oktober 2005).

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Das in Bayern bestehende staatliche Wettmonopol für Sportwetten ist
in seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung
mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar. Den an
entsprechender beruflicher Tätigkeit interessierten Bürgern ist der
Ausschluss gewerblicher Wettangebote durch private Wettunternehmen
nur dann zumutbar, wenn das bestehende Wettmonopol auch in seiner
konkreten Ausgestaltung der Vermeidung und Abwehr von Spielsucht und
problematischem Spielverhalten dient. Das Staatslotteriegesetz
enthält jedoch keine entsprechenden materiellrechtlichen Regelungen
und strukturellen Sicherungen, die dies hinreichend gewährleisten.

a) Dem staatlichen Wettmonopol liegen legitime Gemeinwohlziele
(Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht; Schutz der Spieler vor
betrügerischen Machenschaften seitens der Wettanbieter; Schutz vor
irreführender Werbung) zugrunde. Allerdings scheiden fiskalische
Interessen des Staates als solche zur Rechtfertigung der
Errichtung eines Wettmonopols aus. Eine Abschöpfung von Mitteln
aus dem Glücksspiel für Gemeinwohlzwecke ist nur als Weg zur
Suchtbekämpfung und als Konsequenz aus einem öffentlichen
Monopolsystem gerechtfertigt, nicht dagegen als selbständiges
Ziel. Die gesetzliche Errichtung eines staatlichen Wettmonopols
stellt auch ein geeignetes Mittel dar, die mit dem Wetten
verbundenen Gefahren zu bekämpfen. Nicht zu beanstanden ist die
Annahme des Gesetzgebers, dass eine Marktöffnung zu einer
erheblichen Ausweitung von Wettangeboten und diese Ausweitung auch
zu einer Zunahme von suchtbeeinflusstem Verhalten führen würde.
Der Gesetzgeber durfte auch von der Erforderlichkeit eines
Wettmonopols ausgehen. Insbesondere hinsichtlich der Suchtgefahren
durfte er angesichts seines weiten Beurteilungsspielraums davon
ausgehen, dass sie mit Hilfe eines auf die Bekämpfung von Sucht
und problematischem Spielverhalten ausgerichteten Wettmonopols mit
staatlich verantwortetem Wettangebot effektiver beherrscht werden
können als im Wege einer Kontrolle privater Wettunternehmen.

b) Das in Bayern errichtete staatliche Wettmonopol stellt jedoch in
seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung
einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, weil
es in einer Weise ausgestaltet ist, die eine effektive
Suchtbekämpfung nicht sicherstellt. Das Ziel der Bekämpfung der
Suchtgefahren ist allein durch ein staatliches Wettmonopol noch
nicht gesichert. Ein Monopol kann auch fiskalischen Interessen des
Staates dienen und damit in ein Spannungsverhältnis zur
Zielsetzung geraten. Eine konsequente und wirkliche Ausrichtung
des Wettmonopols an der Bekämpfung und Begrenzung von Wettsucht
und problematischem Spielverhalten muss sich daher in der
rechtlichen wie tatsächlichen Ausgestaltung des Wettmonopols
positiv ausdrücken.

Die gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung des Wettmonopols
gewährleistet nicht hinreichend, dass das staatliche Wettangebot
konsequent in den Dienst einer aktiven Suchtbekämpfung und der
Begrenzung der Wettleidenschaft gestellt ist und ein Konflikt mit
fiskalischen Interessen des Staates nicht zu Gunsten dieser
ausgeht. Das Staatslotteriegesetz enthält nahezu ausschließlich
Bestimmungen zur Zuständigkeit und Organisation. Das
verwaltungsrechtliche Regelungsdefizit wird nicht durch den von
sämtlichen Ländern ratifizierten Lotteriestaatsvertrag
ausgeglichen. Zwar ist hierin bestimmt, dass die Veranstaltung,
Durchführung und gewerbliche Vermittlung von öffentlichen
Glücksspielen den Erfordernissen des Jugendschutzes nicht
zuwiderlaufen und Werbemaßnahmen nicht irreführend und
unangemessen sein dürfen sowie dass seitens der Veranstalter,
Durchführer und gewerblichen Spielvermittler Informationen über
Spielsucht, Prävention und Behandlungsmöglichkeiten bereitzuhalten
sind. Dies gewährleistet jedoch allein noch nicht eine Begleitung
des Wettangebots durch aktive Maßnahmen zur Suchtbekämpfung.

c) Dieses Regelungsdefizit spiegelt sich darin wider, dass auch
tatsächlich eine konsequente Ausrichtung der durch den Freistaat
Bayern veranstalteten Wetten am Ziel der Bekämpfung der
Suchtgefahren gegenwärtig nicht gegeben ist. Die Veranstaltung der
Sportwette ODDSET verfolgt erkennbar auch fiskalische Zwecke. Vor
allem aber ist der Vertrieb nicht aktiv an einer Bekämpfung der
Suchtgefahren ausgerichtet. Das tatsächliche Erscheinungsbild
entspricht vielmehr dem der wirtschaftlich effektiven Vermarktung
einer grundsätzlich unbedenklichen Freizeitbeschäftigung. Dies
zeigt eine breit angelegte Werbung, in der das Wetten als
sozialadäquate, wenn nicht sogar positiv bewertete Unterhaltung
dargestellt wird. Ebenso wenig sind die Vertriebswege für ODDSET
auf eine Bekämpfung der Suchtgefahren angelegt. Durch das breit
gefächerte Netz von Lotto-Annahmestellen wird die Möglichkeit zum
Sportwetten zu einem allerorts verfügbaren „normalen“ Gut des
täglichen Lebens. Schließlich ist auch die Präsentation des
Wettangebots nicht ausreichend am Ziel der Bekämpfung von
Wettsucht und der Begrenzung der Wettleidenschaft ausgerichtet.
Die Staatliche Lotterieverwaltung beschränkt sich auf die
Bereithaltung von Informationen zu Spielsucht, Prävention und
Behandlungsmöglichkeiten, ohne darüber hinaus eine aktive
Suchtprävention zu betreiben.

2. Die Unverhältnismäßigkeit der konkreten tatsächlichen und rechtlichen
Ausgestaltung des in Bayern bestehenden staatlichen Wettmonopols
erfasst auch den Ausschluss der Vermittlung anderer als der vom
Freistaat Bayern veranstalteten Wetten.

3. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich gehalten, den Bereich der
Sportwetten unter Ausübung seines rechtspolitischen
Gestaltungsspielraums neu zu regeln. Ein verfassungsmäßiger Zustand
kann sowohl durch eine konsequente Ausgestaltung des Wettmonopols
erreicht werden, die sicherstellt, dass es wirklich der
Suchtbekämpfung dient, als auch durch eine gesetzlich normierte und
kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltung durch private
Wettunternehmen. Will der Gesetzgeber an einem staatlichen
Wettmonopol festhalten, muss er dieses konsequent am Ziel der
Bekämpfung von Wettsucht und der Begrenzung der Wettleidenschaft
ausrichten. Zu den erforderlichen Regelungen gehören inhaltliche
Kriterien hinsichtlich Art und Zuschnitt der Sportwetten sowie
Vorgaben zur Beschränkung ihrer Vermarktung. Die Werbung für das
Wettangebot hat sich zur Vermeidung eines Aufforderungscharakters bei
Wahrung des Ziels, legale Wettmöglichkeiten anzubieten, auf eine
Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Wetten zu
beschränken. Geboten sind auch Maßnahmen zur Abwehr von
Suchtgefahren, die über das bloße Bereithalten von
Informationsmaterial hinausgehen. Die Vertriebswege sind so
auszuwählen und einzurichten, dass Möglichkeiten zur Realisierung des
Spieler- und Jugendschutzes genutzt werden. Schließlich hat der
Gesetzgeber die Einhaltung dieser Anforderungen durch geeignete
Kontrollinstanzen sicherzustellen, die eine ausreichende Distanz zu
den fiskalischen Interessen des Staates aufweisen. Eine Neuregelung
kommt dabei grundsätzlich sowohl durch den Bundes- wie den
Landesgesetzgeber in Betracht. Für die Neureglung ist eine Frist bis
zum 31. Dezember 2007 angemessen. Während der Übergangszeit bis zu
einer gesetzlichen Neuregelung bleibt die bisherige Rechtslage
anwendbar. Das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private
Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom
Freistaat Bayern veranstaltet werden, dürfen weiterhin als verboten
angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden. Ob in der
Übergangszeit eine Strafbarkeit nach § 284 StGB gegeben ist,
unterliegt der Entscheidung der Strafgerichte. Auch in der
Übergangszeit muss allerdings bereits damit begonnen werden, das
bestehende Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht
und einer Begrenzung der Wettleidenschaft auszurichten.

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