MICHAEL Rechtsanwaelte

EuGH: Irland und Slowakei klagen gegen Vorratsdatenspeicherung

Im Rahmen der aktuellen Filesharing-Debatte ist auch das Thema Vorratsdatenspeicherung wieder in das öffentliche Interesse geraten. Derzeit sind die Provider verpflichtet, die Verbindungsdaten von Flatrate-Nutzern unverzüglich zu löschen. Im Rahmen der Terrorbekämpfung hat die Europäische Union eine Richtlinie erlassen, die eine Speicherung dieser Daten für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten zulässt. Gegen diese Richtlinie haben nun Irland und die Slowakei geklagt. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung möchte erreichen, dass auch die Bundesrepublik Deutschland mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Vorratsdatenspeicherung vorgeht. Es folgen zwei aktuelle Pressemitteilungen des Arbeitskreises:
Die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vom Februar 2006 sieht vor, dass künftig zur Erleichterung der Strafverfolgung das Telekommunikationsverhalten aller 460 Mio. EU-Bürger bedarfsunabhängig protokolliert und mindestens ein halbes Jahr lang vorgehalten werden soll. Insbesondere soll aufgezeichnet werden, wer wann mit wem telefoniert und per Email oder SMS korrespondiert hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Bislang dürfen nur die zur Abrechnung erforderlichen Verbindungsdaten gespeichert werden. Dazu gehören Standortdaten und Email-Verbindungsdaten nicht. Durch die Benutzung von Pauschaltarifen kann eine Speicherung zudem bisher gänzlich vermieden werden.

Der nun vorgelegte Bundestags-Antrag rügt, dass die EG über keine Regelungskompetenz auf dem Gebiet des Strafrechts und der Strafverfolgung verfüge. Maßnahmen zur Strafverfolgung dürften nur einstimmig von den Mitgliedsstaaten beschlossen werden. Dies sei im Fall der Vorratsdatenspeicherung zunächst auch so geplant gewesen. Nachdem aber deutlich wurde, dass die erforderliche Einstimmigkeit nicht zustande kommen würde, sei die Vorratsdatenspeicherung „aus rein politischen Gründen“ als Richtlinie beschlossen worden. Eine Klage gegen die Richtlinie sei erforderlich, um derartiges in Zukunft zu verhindern.

Ziel des Antrags ist es also vor allem, die künftige Gestaltungsbefugnis des Deutschen Bundestags auf dem Gebiet des Strafrechts zu bewahren. Ohne ein Machtwort des Europäischen Gerichtshofs ist zu befürchten, dass der Bundestag auf dem Gebiet des Strafrechts und der Strafverfolgung bald nur noch EG-Richtlinien umzusetzen haben wird. Auch Abgeordnete aus den Koalitionsfraktionen haben im Februar die Auffassung geäußert, dass die Vorratsspeicherung nicht als Richtlinie beschlossen werden durfte, so Siegfried Kauder (CDU), Günter Krings (CDU) und Peter Danckert (SPD). Die gleiche Auffassung vertrat letztes Jahr auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), unterstützt von einem einstimmigen Bundestagsbeschluss vom 27.01.2005.

Der Politikwissenschaftler Ralf Bendrath von der Universität Bremen erinnert daran, dass kaum ein Mitgliedsstaat mit der Überwachungs-Richtlinie wirklich zufrieden war. Daher habe man zu Verfahrenstricks gegriffen. „Von 25 EU-Mitgliedern haben zwei die Richtlinie glatt abgelehnt, sechzehn – darunter Deutschland – haben erklärt, die vorgesehene Speicherung der Internet-Daten für drei Jahre auf Eis zu legen, und eines hat angekündigt, es werde viel längere Speicherfristen einführen als vorgesehen. Damit bleiben ganze sechs EU-Mitglieder, die voll hinter dem jahrelang umstrittenen Vorhaben stehen. Die ursprünglichen Gründe für eine EU-Richtlinie – Harmonisierung der Speicherfristen und der Kostenerstattung für die Provider, um Marktverzerrungen zu vermeiden – wurden weitgehend ausgeklammert. Nur diese aber hätten eine Regelung über die Binnenmarkt-Kompetenzen der EU erlaubt, mit der das Mehrheitsverfahren im Ministerrat und damit die Verabschiedung der Richtlinie erst möglich wurden. Weil sich die Regierungen nicht einigen konnten und zu Verfahrenstricks griffen, soll der Bundestag nun seine Souveränität aufgeben und ein gefährliches und illegitim zustande gekommenes Vorhaben einfach abnicken? Das wäre ein bedrohlicher Präzedenzfall.“

Der Jurist Patrick Breyer vom bundesweiten Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ergänzt: „Unabhängig von den formalen Fragen ist die in der Richtlinie vorgesehene Totalprotokollierung der Telekommunikation verfassungswidrig. In der Rasterfahndungsentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht letzte Woche ausdrücklich ‚das außerhalb statistischer Zwecke bestehende strikte Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat‘ bekräftigt. Eine allgemeine, verdachtslose Protokollierung der Telekommunikation der Bevölkerung aus dem Bestreben nach möglichst großer Effektivität der Polizei und zur Erleichterung der polizeilichen Überwachung der Bevölkerung widerspricht den Prinzipien des freiheitlichen Rechtsstaates.“

Der Arbeitskreis fordert alle Bundestagsabgeordneten auf, die Nacht zum Freitag zur „Nacht der Kommunikationsfreiheit“ zu machen. Die Abgeordneten sollen trotz der späten Stunde zahlreich an der Abstimmung teilnehmen und parteiübergreifend für die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof stimmen. Die Bürgerinnen und Bürger fordert der Arbeitskreis auf, die Abgeordneten ihres Wahlkreises zur Stimmabgabe gegen die Vorratsdatenspeicherung aufzufordern. Ein Musterbrief findet sich auf der Website des Arbeitskreises.

Die Abstimmung kann live im Internet verfolgt werden. Für den Fall, dass der Antrag keinen Erfolg hat, haben Bürgerrechtler wie der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) bereits eine Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation angekündigt.

Der Bundestag hat entschieden, für die heutige Sitzung nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Daher
wird der Antrag von etwas 130 Abgeordneten [1] vorraussichtlich in der Sitzungswoche vom 19. – 23.
Juni behandelt werden. In dem Antrag wird die Bundesregierung auf gefordert,

1. gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung Nichtigkeitsklage zu erheben und
2. bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EugGH) von einer Umsetzung der
Richtlinie in nationales Recht abzusehen.

Irland und die Slowakei haben bereits vor dem EuGH Nichtigkeitsklage gegen die EU-Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung erhoben[2]. Es ist – gerade nach der Entscheidung des EuGH zur
Flugdatenübermittlung in die USA[3] – zu vermuten, dass auch die Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung keinen Bestand haben wird.

Unabhängig davon, ist es wichtig, dass auch der Deutsche Bundestag sich für die Nichtigkeitsklage
und ein Aussetzen der Umsetzung der Richtlinie in natinales Recht ausspricht. Sonst besteht die
Gefahr, dass die gesetzlichen Regelungen zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung umgesetzt
werden, „weil Brüssel dass ja vorschreibt“ und nach einer Nichtigkeitserklärung der EU-Richtlinie
zur Vorratsdatenspeicherung diese in Deutschland nicht wieder aufgehoben werden.

Daher unterstützt der AK Vorratsdatenspeicherung weiterhin den Gruppenantrag und fordert die
Bürgerinnen und Bürger auf, ihren Abgeordneten zu bitten für die Nichtigkeitsklage und gegen die
Vorratsdatenspeicherung zu stimmen[4].

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Bürgerrechtlern,
Datenschützern und Internet-Nutzern, der die Arbeit gegen die geplante Vollprotokollierung der
Telekommunikation koordiniert[5].

[1] http://www.edri.org/docs/German-Parliament_Draft-DR-Resolution_18-5-2006.pdf bzw.
http://dip.bundestag.de/btd/16/014/1601622.pdf

[2] http://globaltechforum.eiu.com/index.asp?layout=rich_story&doc_id=8612

[3]http://curia.eu.int/jurisp/cgi-bin/gettext.pl?where=&lang=de&num=79939469C19040317&doc=T&ouvert=T&seance=ARRET

[4] http://initiative.stoppt-die-vorratsdatenspeicherung.de

[5] http://musterbrief.stoppt-die-vorratsdatenspeicherung.de

« »