Filesharing: Staatsanwaltschaften und Gerichte lehnen Zugriff auf Provider-Daten ab
von Rechtsanwalt Christoph Wink
I. Zu den aktuellen Entwicklungen
Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing – kaum eine (IT-) rechtliche Problematik hat bislang mehr Aufsehen erregt und stellt sich mittlerweile als „Massenphänomen“ dar, welches die verschiedensten Personengruppen trifft; so sehen sich Internetnutzer, die „nur einmal ein Lied herunterladen“ wollten, aber auch ahnungslose Eltern oder Betreiber eines (nicht hinreichend gesicherten) W-LANs horrenden Forderungen der Musikindustrie ausgesetzt.
Die massenhafte Verfolgung derartiger Urheberrechtsverletzungen wurde durch die Kanzlei Clemens Rasch, Hamburg, die verschiedene Rechteinhaber aus der Musikindustrie vertritt, in Gang gesetzt. Auch die Kanzlei Schutt und Waedtke, Karlsruhe, die verschiedene Unternehmen der Musikindustrie und auch PC-Spielehersteller vertritt, betätigt sich rege auf diesem Gebiet.
Um allerdings zivilrechtliche Ansprüche geltend machen zu können, benötigt die Musik- (wie auch die Film- und Software-) industrie Angaben über die Identität des Tauschbörsennutzers. Der bekannte Spot der Filmindustrie: „die Täter sind im Netz nicht anonym“, trifft in der Sache zu, da der Internetnutzer – zumindest der Anschlussinhaber – über die ihm zugewiesene ip-Adresse identifiziert werden kann. Die Provider sind indessen gesetzlich nicht verpflichtet, hierüber ohne weiteres Auskunft zu erteilen.
Daher wurden massenhaft Strafanzeigen durch die beauftragten Kanzleien initiiert, um hierdurch – unter Ausnutzung der Staatsanwaltschaften, die in den angezeigten Fällen wegen Urheberrechtsverletzungen zu ermitteln haben – an die Adressen zu gelangen.
Dieser Praxis ist nunmehr das AG Offenburg mit Beschluss (link nachstehend unter III.) vom 20.07.07 (4 Gs 442/07) wegen „offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit“ (zumindest in einem Fall, in dem nur wenige Musikdateien betroffen waren) entgegengetreten und hat einen Antrag der Staatsanwaltschaft Offenburg hinsichtlich einer Provider-Anfrage zur Ermittlung der persönlichen Daten eines mutmaßlichen Tauschbörsennutzers abgelehnt. Das Anbieten von wenigen urheberrechtlich geschützten Musikstücken per Tauschbörsen-Client sei „der Bagatellkriminalität zuzuordnen“.
Die Entscheidung hat große Resonanz hervorgerufen, welche zeigt, dass das AG Offenburg mit seiner Ansicht nicht allein steht. So berichtet der Onlineinformationsdienst heise am 01.08.07:
Dass das badische Gericht mit seiner Ansicht keineswegs allein dasteht, belegt ein ausführliches Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Celle vom 20. Februar 2007, das heise online mittlerweile vorliegt. Mit dem Brief antwortete man auf eine Beschwerde der durch Massenstrafanzeigen bekannt gewordenen Rechtsanwaltskanzlei Schutt-Waetke. Diese hatte zuvor bei der Staatsanwaltschaft Hannover eine riesige Zahl von Strafanzeigen gegen mutmaßliche Tauschbörsennutzer gestellt, die urheberrechtlich geschützte Musik zum Download angeboten haben sollen. Weil sich die Staatanwaltschaft weigerte, bei Providern die Personen hinter den eingereichten IP-Adressen zu ermitteln, beschwerte sich die Kanzlei Schutt-Waetke bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle als zuständige Aufsichtsbehörde.
Diese wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Sie befand die Begründung der Hannoveraner Staatsanwaltschaft, nach der ein ernstliches Strafverfolgungsinteresse der Mandantin von Schutt-Waetke fraglich sei, als zutreffend. Es liege kein zur Aufnahme von Ermittlungen notwendiges öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vor, denn durch die Verfehlungen der mutmaßlichen Tauschbörsennutzer „ist der Rechtsfrieden über den Lebenskreis Ihrer Mandantin hinaus nicht gestört“.
Überdies seien die Verfehlungen „unbedeutend“. Ein beträchtlicher Schaden sei nicht konkret nachgewiesen worden. Die Generalstaatsanwaltschaft führt an, dass man „es bedauern mag“, dass den Urheberrechtsinhabern von Gesetzes wegen kein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch gegenüber den Providern eingeräumt ist. Es könne deshalb aber „nicht erwartet werden, dass Versäumnisse des Gesetzgebers in anderen Bereichen in jedem Bagatellfall durch die Strafverfolgungsbehörden mit ihren knappen Ressourcen aufgefangen werden“.
Deutlicher noch wurde in einem ähnlich gelagerten Fall die Berliner Staatsanwaltschaft. Sie verweigerte einer Rechtsanwaltskanzlei Provider-Anfragen, als diese 9186 IP-Adressen per Strafanzeige zur Ermittlung übergab. Die Kanzlei beschwerte sich daraufhin sowohl bei der Berliner Generalstaatsanwaltschaft als auch bei der Justizsenatorin des Landes.
Auch die ausführliche Begründung der Berliner Staatsanwaltschaft vom 18. Oktober 2006 liegt heise online anonymisiert vor. Die Staatsanwaltschaft warf den Rechteinhabern vor, „unter dem Deckmantel vorgeblicher Strafverfolgung die zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlichen Personaldaten unentgeltlich unter Einsatz beschränkter Strafverfolgungsressourcen und finanziell zu Lasten des Berliner Landeshaushaltes beschaffen“ zu wollen. Auch die Berliner Staatsanwaltschaft erkannte kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Es handle sich ausnahmslos um Bagatellstraftaten.
Ahnlich wie das AG Offenburg setzte sich auch die Berliner Staatsanwaltschaft mit dem angegebenen Schaden durch die Tauschbörsen-Uploads auseinander. Dieser sei entgegen den Aussagen in den Strafanzeigen als „unbedeutend“ anzusehen. Deshalb müsse der Gesichtspunkt der „geringen Schuld“ ohne Aufnahme von Ermittlungen zur Verfahrenseinstellung führen.
Außerdem handle es sich bei der „Entschlüsselung von IP-Adressen“ oder bei Durchsuchungsbeschlüssen um Grundrechtseingriffe, die dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Dieses gebiete, zu den vorgelegten Strafanzeigen keine derartigen Ermittlungen durchzuführen. Auch hier führt die Staatsanwaltschaft die Motivation der Rechteinhaber ins Feld: „Ermittlungen auf strafrechtlicher Grundlage, die Grundrechtseingriffe nach sich ziehen, dürfen nicht aus sachfremden Erwägungen – wie etwa allein zur Beschaffung von Beweismitteln für ein Zivilverfahren – geführt werden.“
II. Rechtlicher Hintergrund
Die rechtlichen Fragestellungen zur Problematik des Filesharings sind äußerst komplex:
So ist bereits fraglich, wer konkret bei einer festgestellten Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung der Verletzungshandlung in Anspruch genommen werden kann (der Anschlussinhaber oder der „eigentliche Täter“); eine einheitliche Rechtsprechung existiert hierzu nicht.
Problematisch ist auch, ob für die vorgerichtliche Abmahnung und Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung (diese dient der Ausräumung der sog. Wiederholungsgefahr zur Vermeidung einer einstweiligen Verfügung oder einer Unterlassungsklage) überhaupt eine Anwaltskanzlei eingeschaltet und hierfür Abmahnkosten eingefordert werden können. So liegen argumentativ gut begründete Entscheidungen vor, wonach die Musikindustrie – die in der Regel ohnehin über eigene Rechtsabteilungen verfügen dürfte – selbst Abmahnungen hätte aussprechen müssen; die Einschaltung einer Anwaltskanzlei sei hierfür nicht erforderlich. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund von zehntausenden von Verfahren, die für die Musikindustrie geführt werden, durchaus tragfähig.
Letztlich stellt sich auch die Frage, wie hoch der Schaden anzusetzen ist, wenn eine Musikdatei (ggf. auch nur fragmentarisch) heruntergeladen worden ist. Die von den genannten Kanzleien genannten Schadensersatzbeträge dürften erheblich über das „Ziel hinausschiessen“ und können nur als Versuch gesehen werden, möglichst hohe Drohungen aufzustellen um hierdurch auch entsprechend hohe Zahlungen durch die Betroffenen zu erzielen.
In Anbetracht der vielen offenen Fragestellungem ist den Betroffenen dringend anzuraten, vor Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung oder gar vor Zahlung der geforderten Pauschalen (die z.T. etliche tausend Euro betragen können) zunächst anwaltlichen Rat einzuholen.
III. Quellenangaben
1. AG Offenburg, Beschluss vom 20.07.07 (4 Gs 442/07), MIR 2007, Dok. 283
2. heiseonline news vom 01.08.07
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