MICHAEL Rechtsanwaelte

Zypries legt Strafzumessungsregel für

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries schlägt vor, eine neue Strafzumessungsregel einzuführen.

Bei Straftätern, die zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten beitragen, sollen Richterinnen und Richter die Strafe mildern oder ganz von Strafe absehen können. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde zur Abstimmung an die Bundesressorts versandt.

Damit knüpft die Bundesjustizministerin an frühere, aber auch im geltenden Recht verankerte Möglichkeiten an, die Kooperationsbereitschaft von Straftätern zu honorieren. Bis 1999 galt das Kronzeugengesetz, das für die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen und damit zusammenhängender Taten die Möglichkeit eröffnete, das Verfahren einzustellen, von Strafe abzusehen oder die Strafe zu mildern. Das geltende Strafrecht kennt spezifische („kleine“) „Kronzeugenregelungen“ für bestimmte Delikte, nämlich bei der Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung (§§ 129, 129a StGB), der Geldwäsche (§ 261 StGB) und im Betäubungsmittelstrafrecht (§ 31 BtMG). Praktisch bedeutsam ist vor allem § 31 BtMG, dessen Anwendung in den vergangenen Jahrzehnten gute Ermittlungserfolge bei der Aufklärung organisierter Rauschgiftkriminalität ermöglichte.

„Das ausgelaufene Kronzeugengesetz hat sich nicht bewährt und wurde deshalb nicht verlängert. Unser Vorschlag für eine besondere Strafzumessungsvorschrift gründet auf einem neuen Ansatz. Der wesentliche Nachteil der ausgelaufenen Regelung liegt – genauso wie bei den so genannten „kleinen“ Kronzeugenregelungen – darin, dass sie jeweils nur für bestimmte Deliktsbereiche gelten. Das heißt beispielsweise, dass nach § 31 BtMG nur der Täter eines Betäubungsmitteldelikts eine Strafmilderung erhalten kann und dies auch nur dann, wenn er hilft, ein Delikt aus demselben Bereich, zum Beispiel unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln, aufzuklären. Gelingt es jedoch, infolge seiner Angaben einen Sprengstoffanschlag zu vereiteln, kann dies grundsätzlich nicht durch eine Strafmilderung oder das Absehen von Strafe honoriert werden. Damit fehlt ein Anreiz für potenzielle „Kronzeugen“, an der Verhinderung eines solchen Verbrechens mitzuwirken. Deshalb haben wir nun als Regelungsansatz eine allgemeine Strafzumessungsregelung gewählt, die grundsätzlich auf jedes Delikt angewendet werden kann. Damit kommen wir dem Bedürfnis der Praktiker nach, größere und vor allem praktikablere Anreize für kooperationsbereite Straftäter zu schaffen. Zugleich schaffen wir wirksame Mechanismen, um Missbrauch zu unterbinden und sorgen dafür, dass falsche „Kronzeugen“ streng bestraft werden können“, sagte Bundesjustizministerin Zypries.

Eckpunkte des Regelungsvorschlags:

Voraussetzungen: Der Täter einer Straftat offenbart sein Wissen über Tatsachen, deren Kenntnis geeignet ist,

eine nicht nur der leichten Kriminalität zuzurechnende Straftat eines Anderen zu verhindern oder
die Aufklärung einer solchen Tat eines Anderen wesentlich zu fördern (z. B. den Täter festzunehmen) oder
die Aufklärung der eigenen Tat über den eigenen Beitrag hinaus wesentlich zu fördern.
Beispiel: Der wegen seiner Beteiligung an einem (bewaffneten) Bankraub (§§ 249, 250 StGB) verhaftete A gibt der Polizei Hinweise, die zur Ergreifung seiner Mittäter B und C führen.

Weitere Voraussetzung für eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe ist, dass die Bedeutung dessen, was der „Kronzeuge“ zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten beiträgt, dies im Verhältnis zu seiner eigenen Tat rechtfertigt.

Folge: Das Gericht kann die Strafe mildern oder von Strafe absehen, hat jedoch folgende Einschränkungen zu beachten:

Ist „lebenslänglich“ die ausschließlich angedrohte Strafe wie bei Mord darf es nur auf Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren (oder darüber) erkennen;
von Strafe absehen darf es nur, wenn die Tat abstrakt nicht mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist und der Täter im konkreten Fall keine Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder mehr verwirkt hat.
Im Beispielsfall kann das Gericht die Strafe gegen A mildern und dabei unter die Mindeststrafdrohung (§ 250 StGB) von drei Jahren Freiheitsentzug gehen. Ein Absehen von Strafe wird in der Praxis nur unter besonderen Umständen in Frage kommen, z. B. wenn der Tatbeitrag des A gering ist und mit seiner Hilfe weitere Bankraube, die B und C bereits geplant hatten, verhindert werden können.

Haben A, B und C demgegenüber bei ihrem gemeinsamen Bankraub leichtfertig den Tod einer Bankangestellten verursacht, weil sich aus einer ihrer Schusswaffen ein Schuss gelöst hat, so darf das Gericht im Verfahren gegen den „Kronzeugen“ A nicht von Strafe absehen, weil die entsprechende Tat (Raub mit Todesfolge, § 251 StGB) auch mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist.

Ausgeschlossen ist die Anwendung der neuen Regelung, wenn der Kronzeuge sein Wissen erst offenbart, nachdem das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn beschlossen hat.

Im Beispielsfall hat die Staatsanwaltschaft gegen A bereits Anklage wegen Raubes erhoben und das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen. Erst jetzt gibt A Hinweise auf seine immer noch nicht bekannten Mittäter. Eine Strafmilderung nach der „Kronzeugenregelung“ kommt dann nicht in Frage. Möglich bleibt es, die Aussagen des „Kronzeugen“ nach den allgemeinen Regeln bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen (§ 46 StGB).

Einen besonders großen Anreiz zur Kooperation bietet für Straftäter die neue Möglichkeit, auch bei Verbrechen (also jedem Delikt, das mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist) von Strafe abzusehen. Die Staatsanwaltschaft kann in diesen Fällen mit Zustimmung des Gerichts das Verfahren gegen den Kronzeugen gemäß § 153b StPO einstellen. Jedoch bleibt bei Mord und anderen Straftaten, die (auch) mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, ein Absehen von Strafe generell ausgeschlossen (siehe oben). Im Übrigen kann im Einzelfall auch dann nicht von Strafe abgesehen werden, wenn der „Kronzeuge“ mit seiner konkreten Tat eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder mehr verwirkt hat.

Beispiel: Im Zusammenhang mit einem „Schiedsrichterskandal“ benennt der Täter eines schweren Betrugs (§ 263 Abs. 5 StGB) die Hintermänner. Er ermöglicht so die Aufklärung der Tat über seinen eigenen Beitrag hinaus und wendet weiteren großen Schaden vom deutschen Fußball ab. Die ihm drohende Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren kann gemildert werden. Ggf. kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren auch mit Zustimmung des Gerichts einstellen, wenn nicht die Schwere der Schuld des „Kronzeugen“ entgegensteht.

Die Strafmilderung ist kein zwingender Automatismus. Es bleibt dem Gericht unbenommen, dem „Kronzeugen“ wegen der Schwere seiner Schuld eine Strafmilderung zu verwehren, wenn dies die Bewertung im Einzelfall gebietet.

Die derzeit existierenden spezifischen „Kronzeugenregelungen“ bleiben bestehen und gehen als speziellere Vorschriften der neuen allgemeinen Strafzumessungsregel vor.

Wesentliche Unterschiede und Vorzüge im Vergleich zum früheren Kronzeugengesetz:

Die vorgeschlagene Regelung ist eine allgemeine Strafzumessungsregel, d. h. sie ist grundsätzlich nicht auf bestimmte Delikte beschränkt. Die Strafverfolgungspraxis bemängelte an der früheren Kronzeugenregelung vor allem die enge Bindung an die Organisationsdelikte der §§ 129, 129a StGB (kriminelle / terroristische Vereinigung), da diese Delikte teilweise schwierig nachzuweisen sind. In der Praxis waren deshalb oft schwierige und langwierige Ermittlungen nötig, bevor feststand, dass man einem kooperationsbereiten Beschuldigten die Vergünstigungen aus der früheren Kronzeugenregelung in Aussicht stellen konnte.

Die Tat des „Kronzeugen“ und die Tat, auf die sich seine Präventions- oder Aufklärungshilfe bezieht, müssen nicht derselben Deliktsgruppe zuzuordnen sein.

Beispiel: Der eines Raubes beschuldigte „Kronzeuge“ kann z. B. in den Genuss der Strafmilderung kommen, wenn er einen Mord aufzuklären oder zu verhindern hilft, z. B. konkrete Angaben zum Aufenthaltsort des Täters macht oder Hintergrundinformationen preisgibt, die die weitere Aufklärung der Tat wesentlich erleichtern.

Im Unterschied zu bestehenden Reglungen wird kein konkreter Ermittlungserfolg verlangt, sondern es reicht aus, dass die Angaben des „Kronzeugen“ zur Präventions- oder Aufklärungshilfe „geeignet“ sind. Damit wird ein größerer Kooperationsanreiz geschaffen, denn der „Kronzeuge“ wird nicht mit dem Risiko eines Ermittlungserfolgs belastet.

Beispiel: Der „Kronzeuge“ macht Angaben über den aktuellen Aufenthaltsort eines anderen Tatverdächtigen. Auf dem Weg zu dem angegebenen Ort verunglückt der Streifenwagen, deshalb missglückt die Ergreifung des Täters.

Vorbeugung gegen Missbrauch
Gleichzeitig unterbindet die vorgeschlagene Neuregelung Missbrauchsgefahren. Dies geschieht vor allem durch die zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs (nur bis zum Eröffnungsbeschluss) und durch der Erhöhung der Strafrahmen der für falsche „Kronzeugenaussagen“ einschlägigen Straftatbestände (§§ 145d, 164 StGB). Da es keinerlei gesetzlichen Automatismus für eine Strafmilderung gibt, bleibt es zudem in jedem Fall der Entscheidung des Gerichts überlassen, nur wirklich stichhaltige Angaben des „Kronzeugen“ zu honorieren.

Durch eine zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs und begleitende Strafrahmenerhöhungen bei den für falsche „Kronzeugenaussagen“ einschlägigen Straftatbeständen wird etwaigem Missbrauch vorgebeugt bzw. eine angemessene Sanktionierung von Missbrauchsfällen ermöglicht:

Die Anwendung der neuen „Kronzeugenregelung“ wird nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den „Kronzeugen“ möglich sein. Nach diesem Zeitpunkt kann das Gericht die Angaben des Beschuldigten („Kronzeugen“) oft nur noch eingeschränkt überprüfen, ohne das Verfahren wesentlich zu verzögern. Spätere Angaben können allerdings im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB berücksichtigt werden.
Die Strafrahmen für das Vortäuschen einer Straftat gemäß § 145d StGB und die falsche Verdächtigung gemäß § 164 StGB werden für die Fälle angemessen erhöht, in denen der Kronzeuge

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