MICHAEL Rechtsanwaelte

BGH: Abweichung der Wohnfläche von mehr als 10% kann fristlose Kündigung rechtfertigen

von Rechtsanwalt Christoph Wink
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht 

Mit Urteil vom 29.04.2009 (VIII ZR 142/08) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine erhebliche Abweichung der tatsächlichen von der vertraglich vereinbarten Wohnfläche (regelmäßig bei mehr als 10%) einen wichtigen Grund darstellt, der den Mieter zur fristlosen Kündigung des Mietvertrages berechtigt.

Im zugrunde liegenden Fall waren die Kläger seit dem Anfang Mai 2002 Mieter einer Wohnung des Beklagten. In dem Mietvertrag wurde eine Wohnfläche von „ca. 100 m²“ vereinbart. Unter dem 24. 01.05 erklärten sie die fristlose Kündigung, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 30.04.05, weil die Wohnfläche um mehr als 10 % von der vereinbarten Fläche abweiche. Mit der Klage haben die Kläger unter anderem die Rückzahlung überzahlter Miete von € 4.901,11 € verlangt. Der Beklagte hat im Wege der Widerklage € 2.045,55 Miete für Februar bis April 2005 geltend gemacht.

Ein von dem erstinstanzlich zuständigen Amtsgericht eingeholtes Sachverständigengutachten ergab, dass die tatsächliche Wohnfläche lediglich 77,37 m² betrug damit um 22,63 % von der vereinbarten Wohnfläche abwich. Das AG verurteilte die Beklagten zur Zahlung von € 4.901,11 € und gab der Widerklage in Höhe von 1.600,85 € statt. Auf die Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht die Verurteilung aus der Widerklage auf € 1.263,45 ermäßigt.

Der BGH führt aus, dass mit einer Flächenabweichung von 22,63 % ein Mangel gegeben ist, der zur Folge hat, dass insbesondere die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB gegeben sind. Die Darlegung, warum dem Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zumutbar ist, hält der BGH nicht für erforderlich. Bei den Kündigungsgründen nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BGB handele es sich um „gesetzlich typisierte Fälle der Unzumutbarkeit“. „Soweit deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind, ist grundsätzlich auch ein wichtiger Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung gegeben.“

Allerdings betont der BGH, dass das Recht zur außerordentlichen (fristlosen) Kündigung im Einzelfall verwirkt sein kann. Dies komme u.a. dann in Betracht, wenn der Mieter bei Mietbeginn oder danach erkennt, dass die tatsächliche Wohnfläche die im Mietvertrag angegebene um mehr als zehn Prozent unterschreitet, ohne dies zeitnah zum Anlass für eine fristlose Kündigung zu nehmen. Dies wurde allerdings für den vorliegenden Fall verneint.

Anmerkung

Der BGH hat mit seinem Urteil vom 24.03.2004 (VIII ZR 295/03) für das Mietrecht eine Toleranzgrenze eingeführt, um Unbilligkeiten zu beseitigen, die daraus resultieren, dass die tatsächliche von der vereinbarten Wohnfläche abweicht. Liegt zu Ungunsten des Mieters eine Abweichung von mehr als 10% vor, stellt dies einen zur Minderung berechtigenden Sachmangel dar. Der BGH führte hierzu seinerzeit aus:

„Ein abweichendes Flächenmaß ist i.S. des § 536 I 3 BGB und des § 537 I 2 BGB a.F. dann erheblich, wenn die tatsächliche Fläche um mehr als 10% hinter der vertraglich vereinbarten Größe zurückbleibt (OLG Karlsruhe, NJW-RR 2002, 586 = NZM 2002, 218; KG, GE 2002, 257; Emmerich/Sonnenschein, § 536 Rdnr. 22; Kinne, GE 2003, 100, jew. m.w. Nachw.). Ein zur Minderung berechtigender Sachmangel wird auch bei einem Vertrag über den Kauf oder die Errichtung eines Hauses bzw. einer Eigentumswohnung im Falle einer Unterschreitung der vereinbarten Wohnfläche von mehr als 10% anerkannt (BGH, NJW 1997, 2874 [unter II 2]; vgl. auch NZBau 2004, 269 = NZM 2004, 393 = EBE/BGH 2004, 111 [unter II 1, III 1b]). Gründe für eine andere Bemessung der Wesentlichkeitsgrenze im Mietrecht liegen nicht vor (Blank, WuM 1998, 467 [468]; Kraemer, NZM 1999, 156 [158]).“  (BGH, aaO.)
  

Diese Grenze hat der Bundesgerichtshof mehrfach zum  Prüfungskriterium gemacht und daran konsequent festgehalten. Nunmehr stellt der BGH klar, dass eine solche negative Abweichung der Wohnfläche (zur Berechnung der Fläche siehe auch das Urteil des BGH vom 23.05.07) den Mieter auch zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigen soll (Ausnahme: Verwirkung).

Die Entscheidung stimmt bedenklich. Zwar ist dem BGH im Grundsatz beizupflichten, dass eine erhebliche Flächenabweichung einen erheblichen Sachmangel darstellt und damit zugunsten des Mieters Mängelgewährleistungsansprüche (insbesondere Minderungsrechte) auslöst; dies insbesondere vor dem Hintergrund der Parität von Leistung und Gegenleistung (Fläche zu Miete): so dient die Fläche dem Mieter insbesondere auch dazu zu ermitteln, ob die vorgesehene Miete angemessen ist. 

Darüber hinaus aber einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung anzunehmen, begegnet indessen Bedenken. Eine fristlose Kündigung ist die gesetzliche Ausnahme, die ausschließlich bei Bestehen eines wichtigen Grundes durchgreifen soll. Regelmäßig sind wichtige Gründe solche, aufgrund derer es dem Mieter nicht zugemutet werden kann, bis zum Ablauf der ordentlichen (im sozialen Mietrecht ohnehin recht kurzen) Kündigungsfrist zuzuwarten (z.B. Gesundheitsgefährdung, Tätlichkeiten, etc.). Dies bei Mietern anzunehmen, die eine Wohnung in der Regel besichtigen und dabei hinreichend Gelegenheit haben, die Nutzbarkeit der Wohnung festzustellen, schwerlich nachvollziehbar.

Darüber hinaus wird auszugswilligen Mietern ein neues Einfallstor (neben dem gerne erhobenen Einwand, die Wohnung weise einen gesundheitsgefährdenden Zustand auf [Schimmelpilzbefall, etc.]) geöffnet, sich der regulären Kündigungsfrist und ihrer Zahlungspflicht auf Kosten des Vermieters zu entziehen. Insoweit steht zu befürchten, dass künftig nicht nur bautechnische (Bestehen und Ursache von Mängeln) und baubiologische (Gesundheitsgefährdung) Sachverständigengutachten , sondern nunmehr auch noch Gutachten zu der Wohnfläche einzuholen sein werden. Das Kostenrisiko der Vermieter wächst hierdurch weiter.

Für Vermieter und Hausverwalter ist daher dringend angezeigt, unter allen Umständen von der Angabe (auch „ca.“) einer Wohnfläche abzusehen. Eine hinreichende vertragliche Individualisierung erfolgt durch Angabe des Mietobjekts (genaue Lage, ggf. nebst Angabe der Zimmer), Ausführungen zu der Fläche sind für den Vertragsschluss nicht erforderlich.

Linkhinweis

 Über die Entscheidung informiert die aktuelle Pressemitteilung des Bundesgerichtshof Nr. 89/2009. Der Volltext kann in Kürze über die Homepage des Bundesgerichtshofs (www.bundesgerichtshof.de) abgerufen werden.

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