BGH: Haftung des Geschäftsführers bei Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen trotz Insolvenzreife
von Christoph Wink
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht
Mit Urteil vom 08.06.2009 (II ZR 147/08) hat der BGH entschieden, dass den GmbH-Geschäftsführer, der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung nach der Insolvenzreife des Unternehmens leistet, eine Erstattungspflicht nach § 64 Satz 1 und 2 GmbHG trifft. Solche Zahlungen sind – im Gegensatz zu der Erstattung der Arbeitnehmeranteile – mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar.
Im entschiedenen Fall war Kläger der Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen am 30.11.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Der Beklagte war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH, die nach Feststellungen des Verwalters schon seit Ende 2003 durchgehend überschuldet war. Zwischen Juni und August 2005 veräußerte der Beklagte erhebliche Teile des Gesellschaftsvermögens und zahlte davon € 16.819,82 an Sozialversicherungsträger, namentlich auf die fälligen Arbeitgeberanteile. Einzelheiten des Sachverhalts blieben offen, so dass die Angelegenheit von dem angerufenen BGH an die Berufungsinstanz zurückverwiesen wurde.
Zu den Zahlungen auf die Arbeitgeberanteile führte der BGH wie folgt aus (Hervorhebungen erfolgten durch den Unterzeichner):
„Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung, auch der Arbeitgeberbeiträge, nach Insolvenzreife sei mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, ist von Rechtsirrtum geprägt. Der Geschäftsführer einer GmbH ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 und 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 und 2 GmbHG n.F.) zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft geleistet werden, wenn die Zahlungen nicht auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Die Zahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung nach Insolvenzreife ist im Gegensatz zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar. § 266 a Abs. 1 StGB stellt nur das Vorenthalten der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, nicht auch der Arbeitgeberbeiträge unter Strafe. Zahlungen der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sind mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, weil einem Geschäftsführer mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden kann, fällige Leistungen an die Sozialkasse nicht zu erbringen, wenn er dadurch Gefahr liefe, strafrechtlich verfolgt zu werden (Sen.Urt. v. 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Tz. 12; v. 5. Mai 2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Tz. 13; v. 2. Juni 2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Tz. 6; v. 29. September 2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Tz. 10).
…
Rechtsirrig ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, für die Vereinbarkeit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns spreche eine tatsächliche Vermutung. Schon weil nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 2 GmbHG n.F.) vermutet wird, dass der Geschäftsführer Zahlungen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geleistet hat (Sen.Urt. v. 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Tz. 15; Sen.Beschl. v. 5. Februar 2007 – II ZR 150/06, ZIP 2007, 1501 Tz. 4; Sen.Urt. v. 5. Mai 2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Tz. 8), ist kein Raum für eine gegenteilige tatsächliche Vermutung. Auch für eine Vermutung, dass Zahlungen an Sozialversicherungsträger auf Arbeitnehmerbeiträge geleistet werden, besteht keine Grundlage. § 4 der Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages – Beitragsverfahrensverordnung (BVV) – trifft eine Bestimmung über die Reihenfolge der Tilgung bei Teilzahlungen des Gesamtsozialversicherungsbeitrages. Arbeitnehmeranteile werden nur dann vorrangig getilgt, wenn der Arbeitgeber eine Tilgungsbestimmung trifft. Eine konkludente Tilgungsbestimmung setzt voraus, dass sie greifbar in Erscheinung getreten ist (BGH, Urt. v. 26. Juni 2001 – VI ZR 111/00, ZIP 2001, 1474), und kann nicht vermutet werden.
…
Nach Insolvenzreife ist dem Geschäftsführer die Tilgung fälliger Verbindlichkeiten grundsätzlich verboten (§ 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. = § 64 Satz 1 GmbHG), um Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern. Nur ausnahmsweise ist eine die Masse schmälernde Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar (§ 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. = § 64 Satz 2 GmbHG n.F.). Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer Ausnahme ist der Geschäftsführer (Sen.Urt. v. 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Tz. 15; Sen.Beschl. v. 5. Februar 2007 – II ZR 150/06, ZIP 2007, 1501 Tz. 4; Sen.Urt. v. 5. Mai 2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Tz. 8). Dass die Zahlungen der Abwendung von größeren Nachteilen für die Masse dienten oder der Beklagte strafbewehrte bzw. steuerliche Verbindlichkeiten tilgte, ist nicht behauptet.“
Anmerkung
Die Anforderungen an Geschäftsführer/Vorstände juristischer Personen sind in Krisenzeiten außerordentlich hoch. Der Geschäftsführer – der an sich „nur“ Organ der Gesellschaft ist – haftet gerade in Fällen der Insolvenzverschleppung und auch der Masseschmälerung mit seinem persönlichen Vermögen.
Eine über etliche Jahre umfassend diskutierte Problematik war die Frage der Abführung von Arbeitnehmer- und auch (so hier) Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung nach Eintritt einer insolvenzrechtlich relevanten Krisensituation.
Besonders problematisch zeigte sich hier der Bereich der Arbeitnehmerbeiträge: Während der zuständige V. Strafsenat des BGH in ständiger Rechtsprechung bei Nichtabführung (trotz Krise) eine Strafbarkeit des Geschäftsführers nach § 266a StGB sah, nahm der II. Zivilsenat bei Vornahme der Zahlung (eben zur Vermeidung der Srafbarkeit) indessen eine zivilrechtliche Haftung nach § 64 GmbHG wegen Masseschmälerung an. In Sanierungsfällen war daher regelmäßig eine besonders behutsame Überprüfung angezeigt, um existenzbedrohende Nachteile auf Seiten des Geschäftsführers zu vermeiden, zumindest aber weitestgehend zu reduzieren.
Diese erhebliche, persönliche Komplikation löste der II. Senat des BGH – in begrüßenswerter Weise – mit Urteil vom 14.05.2007 (vgl. Anmerkung des Verfassers) und gab ausdrücklich seine bisherige Rechtsprechung auf: Die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung trotz Insolvenzreife (und zur Vermeidung einer Strafbarkeit) sei mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar.
Anders ist dies – nunmehr ausdrücklich und auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in dem Urteil vom 14.05.2007 enschieden – im Fall der Abführung von Arbeitgeberanteilen zu sehen. Hier bestätigt der II. Senat richtigerweise die persönliche Haftung des Geschäftsfüheres nach § 64 GmbHG. Die Abführung der Arbeitgeberanteilen trotz Krise ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht mehr vereinbar. Hier besteht ein klarer Vorrang des Masseerhalts zugunsten der Gläubiger der insolventen Gesellschaft.
Linkhinweis
Das Urteil kann bereits im Volltext über die Homepage des BGH (www.bundesgerichtshof.de) abgerufen werden.
« Keine Sperrfrist mehr bei Aufhebungsverträgen GS Medien & Verlags GmbH verliert Prozess am Amtsgericht München »